3. Februar 2020

Zusammenhalt hilft gegen Ungerechtigkeit

Wertedialog in Berlin-Neukölln mit Feres Benzarti und Jikal Hassan

Feres Benzarti macht sein Ding, auch wenn nicht alle an ihn glauben. Noch vor wenigen Jahren sah die Zukunft für den heute 17-jährigen Wertebotschafter nicht gut aus: Vor den achten Klassen der Evangelischen Schule Neukölln erzählt er, wie er damals auf der Suche nach dem schnellen Geld „viel Scheiße gebaut“ habe, kriminell war, sich nur wenig für die Schule interessierte. Doch Feres gab sich nicht auf: Im Fußballverein fand er Freunde, die an ihn glaubten und mit ihm gemeinsam einen anderen Weg einschlugen. Heute engagiert sich der Neuköllner gegen Antisemitismus, den er früher selbst verinnerlicht hatte, und ist auf dem besten Weg, ein sehr gutes Abitur zu machen. „Damit Träume in Erfüllung gehen, braucht man Fleiß und Leidenschaft. Nur mit diesen beiden Werten zusammen kann es funktionieren.“

»Wenn man mir sagt, dass ich etwas nicht kann, dann mache ich es erst recht und zwar zehnmal geiler.«

Auch Wertebotschafterin Jikal Hassan hätte oft aufgeben können: Nach der Grundschule bekam sie eine Hauptschulempfehlung, hatte es aufgrund von Sprachbarrieren nicht leicht. Gemeinsam mit ihrer Mutter, mit der sie 1996 aus Irakisch-Kurdistan nach Deutschland geflohen war, entschied sie, trotz der Empfehlung auf eine Realschule zu gehen. Nach dem Abschluss wollte sie mehr, schaffte auf dem Gymnasium im zweiten Anlauf das Abitur. Als sie ihren Traum angehen wollte, Jura zu studieren, rieten ihr wieder viele Menschen davon ab. Jikal blieb dran: „Wenn man mir sagt, dass ich etwas nicht kann, dann mache ich es erst recht und zwar zehnmal geiler.“ Vor zwei Wochen bestand sie ihr Staatsexamen. Die Schülerinnen und Schüler waren sichtlich beeindruckt: „Ich habe keine Frage, aber ich wollte herzlichen Glückwunsch sagen.“, meldete sich ein Schüler nach Jikals Erzählung zu Wort.

»Hilfsbereitschaft und Loyalität sind für Jikal wichtige werte.«

Wie Feres suchte sich Jikal für ihren Weg Verbündete. Nach ihrer Ankunft in Deutschland begegneten ihr viele Menschen mit großer Hilfsbereitschaft, später fand sie Unterstützung bei verschiedenen Vereinen, die ihr bei schulischen Herausforderungen unter die Arme griffen. Hilfsbereitschaft und Loyalität sind für Jikal wichtige Werte, die auch ihr eigenes Handeln prägen: In Hannover und Berlin initiierte sie Schiebercafés, in denen Menschen einen Kaffee trinken, aber zwei bezahlen und so anderen Menschen ein heißes Getränk ermöglichen, die das Geld dafür nicht aufbringen können. Sie engagiert sich außerdem für die Seenotrettung bei Sea-Watch, da sie der Überzeugung ist, dass niemand auf der Flucht ertrinken sollte.

 

»Zunächst erschienen die antisemitischen verschwörungstheorien schlüssig.«

Dass jeder Mensch wertvoll ist und ein Recht hat, Mensch zu sein, gehört auch zu Feres Überzeugungen. Mit Jikal und den Schülerinnen und Schülern kommt er ins Gespräch über Diskriminierungen und erzählt von seinem eigenen Wandel: An seiner Schule war Antisemitismus weit verbreitet. Feres stand dem zunächst skeptisch gegenüber, begann im Internet zu recherchieren und stieß dabei auf zahlreiche antisemitische Verschwörungstheorien, die ihm zunächst schlüssig erschienen. In der zehnten Klasse kam er dann mit der Amadeu-Antonio-Stiftung in Kontakt, die über Antisemitismus aufklärt. Feres stellte viele Fragen und bemerkte, wie gefährlich die einfachen Antworten auf komplexe Probleme sind, die er in Verschwörungstheorien fand.

»die richtige reaktion auf ausgrenzung ist nicht immer leicht.«

Als die Schülerinnen und Schüler im Wertedialog per Handzeichen zeigen sollten, ob sie selbst sich schon einmal vorurteilsvoll verhalten hätten, wurde es unruhig. Einzugestehen, dass das eigene Verhalten in der Vergangenheit Menschen verletzt hat, schien vielen schwer zu fallen. Betroffen von Ungerechtigkeit seien hingegen fast alle schon einmal gewesen. Einige Schüler erzählten, wie sie Gewalt und Ausgrenzung erfahren haben. Eine Schülerin berichtete, wie ihr ein Mädchen die Haare angezündet habe, weil sie übergewichtig sei. Ein anderer Schüler erzählte von einem Freund, der an der Schule aufgrund seiner Herkunft ausgegrenzt wurde. Dass die richtige Reaktion in solchen Momenten nicht immer leicht ist, weiß auch Jikal: Vor kurzem wurde sie am Alexanderplatz aus dem Nichts rassistisch beleidigt. Sie war wie gelähmt und schämte sich danach, nichts entgegnet zu haben. Sie fragte den berichtenden Schüler, wie er auf die Ausgrenzung seines Freundes reagiert habe: Sie seien befreundet geblieben und die anderen Jugendlichen hätten so gemerkt, dass ihr Verhalten ungerecht gewesen sei.

»zusammenhalt hilft, zivilcourage zu zeigen.«

Zusammenhalt helfe in Situationen wie diesen und mache die Zivilcourage leichter, waren sich alle einig. Jikal riet, immer Hilfe zu holen und sich nicht selbst in Gefahr zu begeben. Feres ergänzte, dass es wichtig ist, Menschen gezielt um Unterstützung zu bitten. Der Wertedialog zeigte, dass die Schülerinnen und Schüler dabei aufeinander bauen können: In ihrer Ablehnung von Diskriminierung und Gewalt waren sie sich einig. „Ich bin echt froh, dass wir über diese Dinge gesprochen haben – im Alltag kommt das viel zu wenig vor.“, meint ein Schüler nach dem Dialog. „Es war gut, mal unterschiedliche Meinungen auch von meinen MitschülerInnen zu hören.“, pflichtete ihm eine andere Schülerin bei.

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